Autor Thema: Karpatischer Osten '03-'16 - 12: Rachiw - Jaremtsche (50 B.)  (Gelesen 6001 mal)

Roni

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Karpatischer Osten '03-'16 - 12: Rachiw - Jaremtsche (50 B.)
« am: 09. September 2016, 11:31:33 »
Hallo!



Zum vorherigen Teil der Serie:
Rallye durch den Osten '16 - 11: Ich liebe Chust! (50 B.)
http://www.mstsforum.info/index.php?topic=3796.0


Das Video zu dem Teil (bitte auf 1080p Qualität / Vollbild stellen):
https://youtu.be/WmYCDzD87uc




31. 7. 2016

Wir starten in Rachiw mit Zug 6404 Rachiw (14:36) - Jaremtsche (17:20-25) - Iwano-Frankiwsk (19:31).
M62-1410 schob ihre zwei Platzkartny-Wagen zurück, um anschließend auf Gleis 3 vorzurücken.




Ich beobachtete, dass Züge hier oft nur kurz zum Aus- oder Zustieg hielten, sonst schnell wegrangiert wurden. Am Abfahrtsbahnhof 15 Minuten davor, obwohl die Garnitur natürlich die ganze Zeit am Nebengleis stand. Wir verabschieden uns vom Endbahnhof der derzeitigen Diesel-Stichstrecke durch die Karpaten, nach hinten ginge es Richtung Rumänien weiter.




Das Innere des Platzkartny-Waggons, eigentlich für Schnellzüge mit Platzreservierung gedacht (wie der Name sagt). Der Einstieg war nur auf einer Seite offen, dann passierte man den engen Gang am (theoretischen) Prowodnik-Abteil vorbei - dass eine derartige Konfiguration im Lokalverkehr nur bis zu einer bestimmten Zahl an Passagieren gut geht, kann man sich denken.
Ich erwischte das erste Abteil gleich hinter der Lok. Das Fenster ließ sich öffnen, es war nur etwas mühsam mit der heruntergeklappten Liege darüber und dem Tisch darunter hinauszufilmen - man musste gebückt stehen und die Kamera hochhalten. Mir gegenüber saßen eine Oma und ihre Enkelin, welche die gesamten drei Stunden Fahrt durchplauderten - wenn nicht miteinander, dann hatte die Alte irgendeine Nachbarin am Telefon, der sie erzählte, dass sie gerade mit dem Zug durch die Karpaten fuhr... ;-)




Nach pünktlicher Abfahrt und Passieren einiger Brücken über die Theiß im engeren Tal, hielten wir an der ersten von nur wenigen Haltestellen der Strecke. Die Mitfahrt hinter der rauchenden M62 kann man im Video ab Minute 10:40 genießen - wenn auch gelegentlich das pausenlose Quasseln im Hintergrund zu hören ist.




Aaaaahh, Heuschober, hier bin ich daheim!




Ein Storchenpaar im Baumwurzelnest.




Auch in kleinen Orten herrschte zumindest ein wenig Fahrgastwechsel.









Wir nähern uns der 8000-Einwohner-Stadt Jassinja, das größere Gebäude im Hintergrund ist eine Kunstpelz-Fabrik.




14. 4. 2003

Vor dreizehn Jahren begaben wir uns zu sechst auf eine einwöchige Familienreise durch die Westukraine. Wir verließen Lwiw allerdings nicht mit Blick auf eine M62 vor dem Zug, sondern im damals neuen VW-Bus (erstanden für 5000 Dollar, aber wer kann sich in der Ukraine auch anderes leisten) unseres lieben, kreuzbraven Fahrers Bogdan, der bald als siebtes Familienmitglied aufgenommen wurde. Er war davor schon als Fahrer in ganz Europa tätig gewesen und beherrschte daher auch andere Sprachen, zudem spricht mein Vater als Russischprofessor wie ein Muttersprachler (wird auch gelegentlich für einen Einheimischen gehalten ;-)) und ist Autor das Buches "Verhandeln mit Russen" - also konnten wir mit den Leuten im Land auf ganz anderer Ebene kommunizieren als es reinen Touristen möglich wäre.
Die erste Etappe der Rundfahrt führte uns nach Jaremtsche, wo wir übernachteten (siehe nächster Teil).





15. 4. 2003

Am nächsten Vormittag unternahmen wir einen Ausflug weiter in die Ostkarpaten. Der 931 Meter hohe Jablunyzkyj-Pass (auch Tatarenpass genannt) trennt die Oblast Iwano-Frankiwsk von der Oblast Transkarpatien (in der wir uns in den bisherigen Berichten bewegten) und das Quellgebiet des Pruth vom Quellgebiet der Theiß.




Wir befinden uns wieder einmal in einer von Huzulen (schon von meinen Moldovita-Berichten bekannt) bewohnten Region. In Jassinja steht mit der Himmelfahrts- oder Strukivska-Holzkirche aus dem Jahr 1824 eines der besterhaltenen sakralen Gebäude der Gegend, das 2013 den UNESCO-Weltkulturerbe-Status erhielt. Man muss nur erst über die Theiß hingelangen...









Blick auf Jassinja, neben der Kirche im Ort befindet sich der Bahnhof.














Friedhöfe in der ehemaligen Sowjetunion sind immer etwas besonderes, natürlich nichts gegen die ausgefallenen Skulpturen in Lwiw, oder gar Moskau und St. Petersburg.




Damals beschränkte sich meine Eisenbahnfotografie auf das, was zufällig vorbeikam - also hier: ein D1 Richtung Rachiw, noch in dunkelrotem Farbkleid!




Die Ikonostase in der Kirche blieb original bestehen, Ikonen wurden leider neu übermalt. Aber auch dieser Erhaltungszustand ist in der Welt der ständig zu erneuernden Holzkirchen schon eine Seltenheit.














Markt unterhalb eines Schilifts und der Bahnstrecke.




Links lässt sich wohl kaum ein unsowjetisches Detail ausmachen.




Gruß an alle Ikarus-Fans in Form des Busses Czernowitz - Uschhorod auf damals noch teilweise rauer Karpatenquerung.









Das Wortspiel des Tages: "Die Schulen der Huzulen"... :0)




Das Haus daneben ist definitiv gegen jegliche Karpatenwinter gedämmt.




Holzkirche in Gelb.









Manchmal führt die Bahn an der Straße entlang...






31. 7. 2016

... was uns wieder zurück ins Heute und den Zug bringt.
Bei Laseschtschyna verlässt die Bahn die Nähe der Hauptstraße mit einer langgezogenen Kurve durch ein Nebental. Danach wird die Passhöhe im Jablunyzkyj-Tunnel durchquert, die ehemalige innermonarchische Grenze zwischen Ungarn (Komitat Máramaros) und Österreich (Galizien). In der darauffolgenden einsam am Berg liegenden Station Woronenko stieg neben einigen seltsamen Waldbewohnern auch eine Gruppe Jugendlicher ein, die oberen und mittleren Liegen über mir wurden von Mädels gestürmt. Anschließend rollten wir über ein älteres Bogenviadukt bergab.




Wir erreichen den Wintersportort Worochta und überqueren in einer langgezogenen Kurve erstmals den quellnahen Pruth. Das Bild fertigte ich vor den Augen der schmunzelnden Mädchen auf den mittleren Liegen an, danach wurde der Waggon so voll, dass sich die Leute auch unten neben mir drängten - also blieb es das mit dem Fotografieren und Filmen. Jaremtsche war nun ohnehin nah, die Strecke führt im Tal, und der Fokus lag eher auf der Frage: Wie komme ich mit meinem großen Rucksack wieder hier raus?




Kurz vor der Ankunft richtete ich mich her, einige andere standen auch auf, doch niemand hatte ein zusätzliches Hindernis auf den Rücken geschnallt. Mein Abteil ganz vorne lag natürlich am anderen Ende des Waggons als der einzig offene Ausgang, also musste man sich zunächst durch den zwischen den offenen Abteilen verengten Gang - in dem schon einige Passagiere standen - quetschen. Ein Junge war etwas schwer von Begriff und blieb in der Enge stehen, obwohl sich das nie ausgehen konnte. Anschließend das letzte Stück zur Tür - vor der schon eine Menschentraube rundherum auf das Einsteigen wartete. Ein Tunnel durch die Menschen geradeaus war von den vor mir Aussteigenden frei gehalten worden, doch nun drängten alle Richtung Tür, der Tunnel schloss sich, und ich wurde mit Rucksack eingeklemmt. Es blieb nur den Leuten zu zu rufen, stehen zu bleiben. Letztendlich konnte ich mich aus der klaustrophoben Situation befreien - doch es war ein kleiner Geschmack davon, wie schnell eine drängende Menschenmasse unkontrollierbar werden kann.

Endlich frei, der Rest der Passagiere benötigte zehn Minuten für den Fahrgastwechsel, statt der planmäßig vorgesehenen fünf.




Hier sind wir nun im Massentouristenort, von überall spazierten Menschen vorbei.




Wenigstens verspätete sich die Abfahrt so, dass tatsächlich die Sonne herauskam. Über den Karpaten bildeten sich oft Quell- und Gewitterwolken an Sommernachmittagen. Im Hintergrund links befindet sich ein Vergnügungspark neben den Gleisen.



 
Ein Nachschuss auf die Fuhre. Die Brücke schaut zwar auf den ersten Blick als Fotopunkt geeignet aus, doch die Bäume verdecken die Berge, und man hat nur einen guten Blick auf den Parkplatz.



Gleich nebenan konnte ich bequem im Supermarkt einkaufen - dachte ich mir, doch ich hatte nicht mit der Fortsetzung des Klaustrophobie-Abenteuers gerechnet. Die Gänge im Markt - klassisch ukrainisch zur Hälfte aus Alkoholischem bestehend, Wasser und Softdrinks nahmen im Kühlregal nur einen kleinen Teil ein und wurden maximal lauwarm gekühlt - waren derart eng, dass ich wieder fast mit dem Rucksack steckenblieb. Im letzten Gang hatte man dann noch Bierkisten in der Mitte gestapelt, so dass ich letztendlich nur noch rückwärts gehend aus dem Schlamassel herausmanövrieren konnte.
Ein paar Vorräte wurden doch beschafft, und mein Hotel lag nur fünf Gehminuten etwas den Berg hinauf entfernt. Die Straße entlang der Bahn bot statt eines Gehweges eine Leitschiene, so dass die Menschen sich im Gras an den Gleisen einen Pfad ertrampelt hatten, zu Seitengassen führten dann wieder Brücklein Marke Eigenbau über den Straßengraben.



1. 8. 2016

Morgens kurz vor halb acht verließ ich mein bäriges Hotel "Welyka Wedmedyzja"("Große Bärin", auch das Sternzeichen nennt sich so) - klein, gut, nett, billig, familienfreundlich mit Pool und gleich beim Bahnhof - doch auch große Touristenbunker stehen zur Genüge zur Auswahl (manchmal mit schönem Oldtimer davor).




Ich hatte etwa vier Kilometer auf der großen Straße zu gehen, doch hier denkt man an Fußgänger, es gibt auch zwischen den Ortsteilen durchgehend einen Gehsteig. Allerdings rollen immer wieder unfassbare LKW-Monster vorbei, der Verkehr ist überall im Tal oft laut zu hören.




In Jamna steht die Kirche zu Johannes dem Almosengeber.




Aaaah, der morgendliche Pruth, mein Fluss!




Die Brücke zierten so etwas wie olympische Ringe - ob so früh schon etwas anbiss?




Ich folgte dem Feldweg an Holzhäusern vorbei - neu benannt als "Straße der Helden des Maidan", wie so viele in der Ukraine - zum Bahnübergang und der Haltestelle Jamna daneben. Angrenzend befand sich ein orthodoxes Heim.
Wer gewann dieses Duell an den Gleisen? Der Eichelhäher natürlich.




Noch wundervolle Telegrafenleitungen hier, die weißen Striche sind Spinnweben.




Man vernahm immer wieder Lastwagen auf der Straße am anderen Flussufer, doch es tuckerte auch etwas sich langsam Näherndes hinter mir. Vor mir wurde gerade an einem schön bemalten Holzhaus der Brunnen betätigt, wie wir ihn schon aus Moldovita kennen. Langsam kroch ein beladener Holzlaster in seinen letzten Zügen von hinten heran - und parkte sich nicht weit von mir vor einem Haus ein. Zwei Leute sprangen heraus, einer davon schien ein Soldat in Uniform zu sein. Ich bin mir nicht so sicher, was geschah - ein Dieselmotor und Kompressor liefen, entweder es musste planmäßig etwas aufgeladen werden, oder es war unplanmäßig etwas kaputt geworden. Ich schaute auf die Uhr - das, worauf ich wartete, war schon länger überfällig... Endlich, nach langen Minuten, stiegen die beiden ein und das Ungetüm setzte sich tatsächlich wieder in Bewegung. Im Vorbeifahren winkte ich so freundlich wie möglich zu, der Soldat blickte mich sehr skeptisch an, winkte aber fast salutierend zurück. Naja, ladidaaaa, im Zweifelsfall bin ich eben schon sehr früh für den anstehenden Regionalzug an der Haltestelle. Doch den wollte ich eigentlich woanders erwischen. Der LKW wackelte den Helden-Feldweg entlang, und gerade, als er über die Pruth-Brücke außer Sichtweite gewackelt war, erfüllte eine neues, dieselelektrisches Geräusch das Tal...















2M62-0618 beschleunigte den fast eine halbe Stunde verspäteten Schnellzug 357 "Huzulschtschyna" Kiew - Rachiw kurz nach neun rauchend um die Kurve.




Zwei schon etwas mitgenommene grüne Vehikel.




Das orthodoxe Heim links.




Karpatenpanorama: Bergblick, bunte Holzhäuser, 2M62 mit jubelndem Lokpersonal vor langem Express, Vögel auf der massiven Telegrafenleitung, die Hendln des Nachbarn.













Nächstes Mal genießen wir die Vorzüge des Massentourismusortes in den Karpaten... :-)
« Letzte Änderung: 09. September 2016, 13:30:02 von Roni »